Autofreie Innenstadt
am 14. November
Auf Augenhöhe — Das Science Café in München
By Gunawan Kartapranata (Own work)
[CC BY-SA 3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons

Übersicht

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Thema Autofreie Innenstadt
Datum
Ort


Alte Kongresshalle, Theresienraum
Theresienhöhe 15
80339 München

U4/U5 Schwanthalerhöhe

Veranstaltung

In diesem Jahr wurden wir eingeladen, ein Science Café auf den Münchner Wissenschaftstagen zu veranstalten. Dort ging es um »Städte der Zukunft« und passend zum Thema haben wir uns mit einer möglichen »Autofreie Innenstadt« auseinandergesetzt. Die Frage war, ob den Autoverkehr aus Innenstädten zu verbannen oder einzudämmen eine Lösung sein könnte, um attraktiven und gesunden Lebensraum auch bei stetig wachsenden Einwohnerzahlen bieten zu können. In der Münchner Stadtpolitik werden solche ›alternativen Mobilitätskonzepte‹ zunehmend diskutiert. Wir haben unsere Gäste und Referent.innen gefragt: Muss Mobilität wirklich »neu gedacht« werden? Ist individueller Autoverkehr in der Innenstadt überhaupt noch tragbar? Welche Möglichkeiten bietet eine autofreie Innenstadt und wie könnte so eine Stadt aussehen? Welche Planungsschritte wären notwendig? Welche Schwierigkeiten würden sich daraus ergeben? Könnte die Innenstadt gar »aussterben«?​

Unsere Referent.innen waren diesmal:

Herr Prof. Dr. Knoflacher, den wir ebenfalls eingeladen hatten, musste seine Teilnahme leider kurzfristig absagen.

Prof. Ulrich Wengenroth beim Vortrag.
Prof. Ulrich Wengenroth wies auf zahlreiche mögliche
Nebenwirkungen von autofreien (Innen-)Städten hin.

Den ersten Vortrag hielt Prof. Ulrich Wengenroth, der sogleich mit amüsanten Beispielen und Überlegungen die Unterschiede von privatem Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln herausstellte. Das Auto sei, so Wengenroth, eine »Fluchtkapsel«, in der sich der Fahrer innerhalb seines eigenen privaten Raums durch die Öffentlichkeit bewegen kann. In der U-Bahn dagegen sehe sich jeder Mensch den Blicken und Gerüchen seiner Mitmenschen unmittelbar ausgesetzt. Eine Verbannung des Autos aus der Innenstadt hätte weitergehende Wirkungen als bloß die Verkehrssituation zu verändern: Ein privates Auto ermögliche es etwa, sich sozial zu isolieren und nach Bedarf zurückzuziehen, wohingegen die meisten Alternativen und insbesondere der ÖPNV das nicht nur nicht bieten können, sondern umgekehrt gewisse soziale Kompetenzen für ihre Benutzung erfordern — Kompetenzen, die jahrzehntelange Autofahrer sich unter Umständen erst (wieder) aneignen müssten. Außerdem würden Stadtbewohner sowieso weit unterdurchschnittlich wenig Auto fahren bzw. überhaupt Autos besitzen. Autofreie Innenstädte, so wünschenswert sie sein mögen, wären folglich also eine drastische Ungleichbehandlung von Stadtbewohnern (die fast alles in Fahrrad-Reichweite haben und deren Lebensqualität steigen würde) und Umlandbewohnern (die Mangels ÖPNV-Ausbau auf ihre Autos angewiesen sind, aber nun nicht mehr in die Stadt fahren können, um Besorgungen zu machen). Außerdem wies Prof. Wengenroth darauf hin, dass Steigerungen der Lebensqualität an autofreien Straßen in der Regel Steigerungen der Mieten nach sich zögen. In einer autofreien Innenstadt könne sich daraufhin die Ladenkultur massiv verändern, wenn Verkaufsflächen nur noch für große Handelsketten und teure ›In‹-Marken bezahlbar sind. In der folgenden Diskussion am Tisch wurde diese These kritisch betrachtet und viele weitere Themen diskutiert. Beispielsweise, dass die meisten Autos den größten Teil ihrer Lebenszeit bewegungslos auf einem Parkplatz oder einer Tiefgarage stehen und ob moderne Car-Sharing Angebote einen Ausweg aus dieser Material- und Platzverschwendung bieten können.

Montserrat Miramontes im Gespräch.
Montserrat Miramontes (ganz links) im Gespräch.

Montserrat Miramontes eröffnete ihren Impulsvortrag mit einigen Beispielen aus aller Welt. Die von Professor Wengenroth beschriebene Verteuerung von Geschäftsmieten in autobefreiten Zonen seien an verschiedenen Orten durchaus schon in unterschiedlicher Stärke eingetreten, allerdings ändere diese nichts daran, dass autofreie Innenstädte ihrer Meinung nach wünschenswert seien. Im Gegenteil, die Erhöhung der Mieten trete oft nur auf, wenn zu kleine Gebiete für Autos gesperrt werden. Größere autofreie Bereiche erforderen allerdings größer angelegte alternative Verkehrskonzepte. Für solche Infrastrukturveränderungen sei außerdem eine gewisse Flexibilität in der Mentalität der Bewohner nötig, um alternative Verkehrskonzepte in autofreien Innenstädten auch sinnvoll umzusetzen und zu nutzen. Darüber hinaus seien ihr autofreie Innenstädte aber nicht genug: Sie forderte grüne autofreie Wohngebiete, die es ihren Bewohner.innen ermöglichen in Stadtnähe fast wie auf dem Land zu wohnen. Kein Autolärm, keine Abgase und gefahrloses Spielen für Kinder. Insbesondere wies Miramontes auf die Möglichkeiten multimodaler Angebote hin, also dem intelligenten Verbinden verschiedener Verkehrsmittel wie öffentlicher Nahverkehr, Carsharing und dem Fahrrad innerhalb eines Weges. Diese müssten nur gut organisiert und einfach zu nutzen sein. Auch an ihrem Tisch ging es immer wieder um die Platzinanspruchnahme durch den sogenannten ruhenden Verkehr. Carsharing ermögliche es, die gesamte vorhandene Fahrzeugflotte effizienter zu nutzen. Familien mit zwei arbeitenden Elternteilen brauchen womöglich unter der Woche zwei Autos, am Wochenende nur eines. Das andere könne zum Beispiel von anderen für Wochenendausflüge genutzt werden, die unter der Woche mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.

Dr. Markus Büchler beim Vortrag.
Dr. Markus Büchler plädiert für eine
Stärkung des Fahrradverkehrs.

Auch Herr Dr. Markus Büchler befand, eine autofreie Münchner Innenstadt reiche nicht aus. Er selbst kommt aus dem Münchner Umland und vertrat deshalb die Meinung, Wohnen solle überall lebenswerter und moderner gestaltet werden. Er verwies auf Umfrageergebnisse, nach denen sich 82% aller Befragten weniger Autos auf den Straßen wünschen, bei den Jugendlichen unter den Befragten waren es sogar 92%. Münchens Einwohnerzahlen wachsen stetig und die Nachfrage nach Mobilität wird immer größer, doch der öffentliche Nahverkehr der Stadt habe seine Kapazitätsgrenzen erreicht. Durch engere Taktung sei vielleicht noch eine kleine Verbesserung möglich, doch die Verkehrsmittelwahl der Bewohner in der Stadt und im Umland müsse sich dringend verändern. Besonderes Potential verspricht sich Büchler vom Radverkehr, der in der selbsternannten »Radlhauptstadt« München noch völlig unterentwickelt sei. Radfahren habe besonders im Speckgürtel und dem Münchner Umland noch den Ruf einer Freizeitbeschäftigung, der »RadlRing« lade zwar zu Auflügen ein, aber eben nicht mehr. Es müssten Arbeit und Investitionen in die Infrastruktur gesteckt werden, um schnelle Wege von der Innenstadt nach draußen zu ermöglichen und das Radfahren so besonders für Pendler attraktiver zu gestalten. Große Möglichkeiten sieht er hier auch bei Elektrofahrrädern und Pedelecs. Der Weg zur Arbeit sei dann ohne Anstrengung zu überwinden und nach Hause könne man sich ohne Motor noch einmal richtig verausgaben.

Das Thema der Mobilitätsmentalität griff Frau Prof. Sophie Wolfrum in ihrem Vortrag wieder auf. Beispiele aus anderen Städten mit starker Fahrradfahr-Kultur wie Kopenhagen und Amsterdam zeigten, dass alternative Verkehrsmittel dort nicht primär genutzt würden, weil sie umweltfreundlicher wären oder weniger Lärm verursachten. Die Praktikabilität sei die maßgebliche Motivation: In Städten, die vor vielen Jahrzehnten mit dem Zweck gebaut wurden, möglichst guten Autoverkehr zu bieten, brauche man sich nicht wundern, wenn viele Leute Auto fahren. Nur wenn die Infrastruktur zu Gunsten des Fahrradverkehrs verändert werde, könne man den Verkehr sinnvoll und verträglich verlagern. Mit der Veränderung der Infrastruktur und des Stadtbilds würde sich die Mentalität entsprechend anpassen, das gehe aber nur, wenn man dem Autoverkehr tatsächlich Platz wegnimmt und anderen Verkehrsteilnehmern zuspricht. Je mühsamer und zeitaufwändiger das Autofahren und je attraktiver und einfacher das Radfahren sei, desto schneller würde der Umstieg vom Auto zum Rad auch passieren. Das Stadtbild und die Gestaltung der Infrastruktur haben also einen großen Einfluss auf die Mentalität der Stadtbewohner.innen und folglich auch auf deren Mobilitätsverhalten.

Tobias Holl präsentiert die Critical Mass.
Tobias Holl sieht die Fahrradbewegung »Critical Mass« als politisches Experiment.

Abschließend stellte der Soziologiestudent Tobias Holl die »Critical Mass« vor, eine globale Bewegung von Fahrradfahrer.innen. Bei lokalen und relativ spontanen Treffen finden sich unterschiedlich große Gruppen von Fahradfahrer.innen zusammen und fahren gemeinsam durch die Stadt. In Deutschland beruht die Idee auf dem Paragraphen § 27 der Straßenverkehrsordnung, der Gruppen von mehr als 15 Fahradfahrer.innen als Verbände anerkennt und ihnen dann das Fahren auf der Straße und eben ein Verhalten wie Autos erlaubt. Was das übergeordnete »Ziel« der Critical Mass ist, lässt sich wegen ihrer Heterogenität und mangelnden Organisation kaum sagen; verschiedene Teilnehmer.innen fahren aus den unterschiedlichsten Gründen mit — vom interessanten Date bis zum politischen Statement. Aus soziologischer Sicht lässt sich die Critical Mass laut Herrn Holl auch als politisches Experiment auffassen. Es ist ein Versuch, auf bestehende Probleme und Missstände hinzuweisen und neue soziale Strukturen herauszubilden. Festgefahrene Strukturen und Verhaltensweisen von Verkehrsteilnehmern könnten dadurch provoziert, gelockert und an den Rand ihrer Wirksamkeit gebracht werden.

Obwohl unsere Referent.innen sich relativ einig waren und allesamt autofreie Innenstädte als prinzipiell erstrebenswert ansahen, haben ihre Vorträge auch diverse Schwierigkeiten und Bedenken bei einer möglichen Umsetzung beleuchtet, die in den anschließenden Diskussionen erörtert wurden. Die Einführung einer autofreien Innenstadt in München sei auf keinen Fall einfach so möglich. Die Infrastruktur müsse stark verändert werden, um alternative Verkehrsmittel attraktiver zu machen und das Verkehrsverhalten zu ändern. Bewohner.innen des Umlands müssten attraktive Angebote gemacht werden, damit sie auch ohne Auto günstig und komfortabel in die Münchner Innenstadt kommen können. Vor allem müsse das Angebot des öffentlichen Verkehrs verbessert werden, viele Gäste äußerten sich negativ zu regelmäßigen Verspätungen und verschmutzten Verkehrsmitteln. Da das Science Café diesmal tagsüber auf den Münchener Wissenschaftstagen stattfand, herrschte ein größeres ›Kommen und Gehen‹ als sonst, nichtsdestotrotz haben sich interessante Gesprächsrunden ergeben.

Ein herzliches Dankeschön an die Referent.innen und alle, die da waren!

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Kommentare 3

  1. #1

    Autofreie Innenstadt ist auch ein Bestandteil von Smart Mobility. Oft wird fälschlicherweise unter Smart Mobiltiy nur verstanden, dass man mit der Kommunikationstechnik den Autoverkehr besser steuert. Ich verstehe aber auch darunter, dass man den Autoverkehr reduziert.
    Smart Mobility wird in Fachkreisen als ein Angebot definiert, das eine „emissionsarme“ und „kostengünstige“ Mobilität ermöglicht. Mit Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) soll die Nutzung vorhandener Mobilitätsangebote optimiert werden. Von besonderem Interesse sind dabei IKT-Strategien, die die Verkehrsmittelwahl zugunsten des Umweltverbundes (nachhaltige Mobilität) bewirken. Im Mittelpunkt des Umweltverbundes steht das Angebot des Öffentlichen Verkehrs (ÖPNV und Taxi). Es wird ergänzt durch nicht motorisierte Verkehrsträger (zu Fuß, mit dem Fahrrad), CarSharing und Ridesharing (Mitfahrmöglichkeiten). Das moderne CarSharingangebot mit Bordcomputer arbeitet schon mit modernster Kommunikationstechnologie. Reisende können sich jederzeit per Smartphone ein CarSharingauto an den Bahnhöfen im Voraus oder spontan buchen; der Bordcomputer meldet jederzeit selbständig den Ladezustand der Batterien eines Elektroautos an die Buchungszentrale. Das gleich gilt für Bikesharing; auch hier kann der Reisende im voraus oder spontan Fahrräder an den Bahnhöfen mieten und auch der Ladezustand der Batterien von E-Bikes wird dabei berücksichtigt. Mit Mobilitätsstationen an den Verkehrsknotenpunkten erreiche ich, dass nicht alle Pendler oder Geschäftsreisende mit dem PKW anreisen, sondern bei solchen Angeboten auch ein Teil mit dem ÖPNV anreisen wird. Städte wie Lyon haben gezeigt, dass mit Bikesharing 20% weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind. Das Land Bayern und die Bundesregierung wollen den Anteil des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen fördern (Radverkehrsplan). Interessant ist auch das Vorgehen der Stadt Köln; die Stadt Köln räumt dem Radverkehr mehr Rechte ein und so dürfen Radfahrer auf normalen Straßen fahren. Die PKWs dürfen in solchen Straßen nur noch 30 kmh fahren. Alle diese Maßnahmen wollen bewirken, dass das Radfahren mehr für die Mobilität genutzt wird und durch diese Verhaltensänderung bei den Bürgern der PKW-Verkehr abnimmt. Wenn der Bürger mehr mit dem Rad auf sicheren Radwegen fährt, lebt er auch gesünder (Smart Health), da er dabei Sport betreibt und die Luft sauberer bleibt. Ein Bürger, der täglich radelt, erzeugt pro Jahr 1.200 € weniger Kosten für das Gesundheitssystem. Das ist smart (intelligent): nachhaltig bewegen, nachhaltig gesund und nachhaltig stabile Umwelt.

    Johann Englmüller,
  2. #2

    Lieber Johann Englmüller,
    Vielen Dank für Ihren ausführlichen und informativen Kommentar! Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie morgen zusammen mit uns über autofreie Innenstadt und Smart Mobility diskutieren!

    Auf Augenhöhe,
  3. #3

    Hallo,
    danke für die Einladung. War aber heute privat verhindert.
    Schöne Grüße
    Johann Englmüller