Cyborgs — Maschinen im Menschen
am 10. Februar
Auf Augenhöhe — Das Science Café in München

Übersicht

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Thema Cyborgs — Maschinen im Menschen
Datum
Ort


Bergmannstraße 33
80339 München

U4/U5 Schwanthalerhöhe oder Heimeranplatz

Veranstaltung

Vielen Dank, an alle die da waren und mit uns diskutiert haben. Wir danken besonders unseren Referenten und dem Augustiner Bürgerheim! In der AZ ist am 12. Februar ein erster Medienbericht erschienen. Das nächste Science Café wird vorraussichtlich Ende April stattfinden, das Thema werden wir bald bekannt geben.

Übrigens: Wir haben uns sehr über das große Interesse gefreut! Mit einem so großen Ansturm (ca. 80 Besucher.innen) hatten wir tatsächlich nicht gerechnet. Beim nächsten Mal wollen wir unbedingt auch die Gäste miteinbinden, die keinen Platz an den Tischen mehr finden. Dazu haben wir schon viele neue Ideen, lasst euch überraschen.

Die Referenten waren:

Protokolle

Allgemeiner Bericht von Lisa Krammel und Julia Tahedl

Cyborgs gibt es doch nur in Science-Fiction-Filmen! Viele Menschen verbinden mit diesem Begriff übernatürliche Wesen. Menschen so zu nennen, ruft bei vielen Empörung hervor. Andere dagegen haben mit solchen Zukunftsvisionen gar kein Problem. Es existiert eine ganze Bewegung namens »Bodyhacking«, die das Ziel eines verbesserten menschlichen Körpers verfolgt. Im Netz sind Videos zu finden, in denen sich Menschen in Piercing-Studios kleine Magneten in ihre Fingerspitzen einpflanzen lassen, um damit Magnetfelder »fühlen« zu können. Der Magnet reagiert auf elektrische Leitungen in der Nähe und sendet dadurch ein Signal an den Träger. Das ist kann nützlich sein, ist aber doch eher Spielerei und offizielle Lizenzen für Piercer gibt es dafür nicht. Diese Szene bewegt sich im Untergrund. Bodyhacker wollen den Punkt erreichen, an dem Mensch und Maschine verschmelzen, die sogenannte Singularität.  Dazu müssen sie natürliche Grenzen überwinden, die sozusagen alle Menschen »körperlich einschränken«: wir brauchen Nahrung, unsere Wahrnehmung ist begrenzt und die Schwerkraft hält uns auf dem Boden. Mit diesem Ziel schrecken diese Leute nicht einmal davor zurück, das Skalpell am eigenen Körper anzusetzen und mit RFID-Chips, selbstgebauten Kompassen und anderen Maschinen zu experimentieren. Hochprozentiger Wodka dient dabei oft als einziges Betäubungsmittel.

Die Moderatoren Lisa und Paul erklären, worum es geht
Die Moderator.innen Lisa Krammel und Paul Zasche

Die Gäste des dritten Science Cafés im Augustiner Bürgerheim schienen dieser speziellen Bewegung nicht anzugehören. Man sah da keine roboterähnlichen Mensch-Maschinen-Wesen, sondern auf den ersten Blick nur gesunde fröhliche Menschen, die sich an unseren fünf gemütlichen Wirtshaus-Tischen verteilten. Bald waren alle Plätze besetzt, doch der Ansturm brach trotzdem nicht ab. Wir holten noch Stühle aus den hintersten Ecken des Gastraums, aber einige mussten letztendlich stehen. Als die Moderatoren um kurz nach sieben die Veranstaltung eröffneten, platzte der Raum beinahe aus allen Nähten. Wer von Ihnen sieht sich selbst als Cyborg?, fragte Paul Zasche in die Runde. Verhaltenes Gekicher macht sich breit, doch es gibt zwei selbstbewusste Meldungen. Ob es wohl nach der Veranstaltung mehr sein werden? Denn hier geht es nicht allein um Biohacking und Human Enhancement (»Verbesserung des Menschen«), sondern auch um aktuelle Entwicklungen in Medizin und Forschung, die tatsächlich körperlich eingeschränkten Menschen durch Implantate und Prothesen ein unbeschwerteres Leben ermöglichen.

Cyborgs sind längst nicht mehr nur in der Untergrundszene oder in Science-Fiction-Filmen zu finden. Dieses Kunstwort steht für den »kybernetischen Organismus«, das ist ein organischer Körper, der durch selbstorganisierte, künstliche Systeme erweitert wird. Das ist nicht so gruselig, wie es auf den ersten Blick scheint. Der erste erfolgreich implantierte, funktionsfähige Herzschrittmacher hat nämlich die Cyborgs in unserer Gesellschaft etabliert. Seitdem hat sich im Bereich der Implantologie viel getan. Taub geborene Menschen können mithilfe von Cochlea-Implantaten das Hören erlernen. Retina-Implantate sind noch nicht so weit entwickelt, könnten aber künftig Blinden das Sehen ermöglichen. Intelligente Prothesen können Menschen mit eingeschränkter Mobilität das Gehen erleichtern und bald vielleicht sogar Gelähmte wieder auf die Beine bringen. Den Entwicklungen und vor allem Ideen im Bereich der Medizintechnik sind beinahe keine Grenzen gesetzt. Körperliche Einschränkungen können dadurch oftmals behoben oder gelindert werden.

Nach der Einführung waren die vier Referenten an der Reihe, um von ihren Erfahrungen zu berichten und ihren Standpunkt deutlich zu machen. Die Vorträge und Diskussionen mit Enno Park, Dr. Johannes Clauss, Michael Hammes und Dr. Jan-Christoph Heilinger könnt ihr in den nachfolgenden  Einzelberichten nachlesen.

Enno Park

Bericht von Lars Tebelmann

Den Anfang macht Enno Park, selbstbetitelter Cyborg. Er verlor sein Gehör im Teenager-Alter und war 20 Jahre lang taub, bis er sich für Cochlea-Implantate (CIs) entschied – die Maschinen, die ihn letztlich zum Cyborg machten. Er berichtet darüber, wie es für ihn war, das Hören neu zu erlernen, und dass er tatsächlich ein verbessertes Hörerlebnis genießt. Denn er kann das Gerät je nach Situation anpassen, Hintergrundgeräusche filtern und es einfach ausschalten, wenn er seine Ruhe haben will. Er erzählt auch, wie er sich dazu entschloss, einen Verein für Menschen wie ihn zu gründen: den Cyborg e.V. Doch Cyborgs sind für ihn nicht nur Menschen mit Implantaten, auch die ständige und intensive Interaktion mit Smartphones mache uns irgendwie zu einem Mensch-Maschine-Mischwesen.

In seiner Diskussionsrunde Diskussion mit Enno Parkstanden Fragen rund um CIs im Vordergrund, aber auch über die Möglichkeiten und Konsequenzen von Enhancement wurde gesprochen.

Die Gäste am Tisch interessierten sich in erster Linie für die Unterschiede zwischen CIs und Hörgeräten und wollten wissen, für wen ein CI in Frage komme. CIs können bei schweren Hörverlusten eingesetzt werden und liefern selbst mit ihrer begrenzten Anzahl von maximal 22 Elektroden im Innenohr bessere Resultate als Hörgeräte, deren Dynamikbereich durch Kompression stark eingeschränkt ist. Trotzdem sei der Höreindruck mit CIs grundlegend verschieden und das Hören müsse in der Zeit nach der Operation neu erlernt werden. Die Implantation ist relativ aufwendig, aber körperlich kein schwerer Eingriff und dauert pro Implantat drei Stunden. Enno Park befürwortet es, dass gehörlos geborenen Kindern schon frühzeitig CIs implantiert werden, um ihnen die Ausbildung der entsprechenden Gehirnstrukturen zu ermöglichen.

Viele am Tisch wollten wissen, ob man die CIs selbst hacken und modifizieren kann. Enno Park erklärte, dass die Modifikation nicht ohne weiteres möglich sei, da in CIs Software zum Einsatz komme, die von den Entwicklern nicht veröffentlicht wird. Alternative Software von Universitäten sei ebenfalls nicht frei und ein »CI-Linux« existiere bisher auch nicht. Damit hätten die Träger.innen keine Möglichkeit, die CIs selbstständig im Alltag anzupassen, sondern müssen dafür immer eine Klinik aufsuchen. Da der Quellcode der Software nicht offen sei und daher nicht überprüft werden könne, seien Sicherheitslücken schwerer zu entdecken. So sei der Funkverkehr zwischen Implantat und Fernbedienung bei einigen Herstellern nicht verschlüsselt und das Mitschneiden oder Senden von Befehlen potentiell möglich. Durch Eingriffe in die Funkstrecke könnten Angreifer durch eine Überstimulation mit hohen Stromstärken durchaus Schaden beim Träger anrichten. Enno Park plädierte daher für die Entwicklung von OpenSource-Software für CIs, um Sicherheitsüberprüfungen zu ermöglichen und Nutzer.innen die Möglichkeit zu geben, ihre CIs selber anzupassen.

Es wurde auch über die Zulässigkeit von Enhancement durch Technik diskutiert und wie dieses Phänomen in der Gesellschaft einen Platz bekommen kann. Enhancemant ermögliche in Zukunft neuartige künstliche Fähigkeiten, die aber aufgrund der ohnehin großen Vielfalt an menschlichen Fähigkeiten nicht unbedingt abzulehnen seien. Dadurch dürfen aber keine unfairen Vorteile entstehen. Die Entwicklung sei letztlich nicht zu verhindern, sodass es eines kulturellen Umgangs an Stelle von generellen Verboten bedürfe.

Dr. Johannes Clauss

Bericht von Patrick Georg

Dr. Johannes Clauss forscht an der TUM innerhalb des Heinz Nixdorf-Lehrstuhls für Medizinische Elektronik an der Entwicklung von Implantaten und deren Anwendungsbereichen.

Als Einstieg zu seinem Vortrag gab Dr. Clauss einen kurzen Überblick zur Geschichte der Implantate, beginnend bei den ersten Herzschrittmachern in den 50er-Jahren über die vielfältige Entwicklung von diagnostischen, mechanischen sowie sinnes-unterstützenden Implantaten bis hin zu eingepflanzten RFID-Chips. Innerhalb dieser Entwicklungs-Periode sieht Dr. Clauss eine deutliche Akzeptanz-Steigerung von Implantaten, sowie ein Aufkommen der von ihm bezeichneten externen Implantate, wie bspw. dem Smartphone.

Dr. Clauss betonte besonders hinsichtlich der sich eröffnenden Möglichkeiten eine positive Einstellung gegenüber Implantaten, führte aber ebenso Risiken wie die Gefahr des Hackings von eingepflanzten elektronischen Geräten und des damit verbundenen Datenschutzes ins Feld. Die insgesamt positive Resonanz innerhalb der Gesellschaft erleichtere die Implantate-Forschung, innerhalb derer er als größte Herausforderung die Schnittstellenanbindung zwischen künstlicher Technik und der Biologie des Menschen sieht.

In der darauffolgenden Diskussion wurden lebhaft unter anderem die Hürden von Zulassung und Finanzierung der Forschung diskutiert, sowie die noch unzureichenden Partizipations-Möglichkeiten an der Forschung und der Diskussion um deren ethische Ansprüche kritisiert. Auch die Möglichkeiten des Enhancement, d.h. der Leistungssteigerung von gesunden Menschen, interessierten die Teilnehmer. Dr. Clauss gab hierzu die Einschätzung, dass ein funktionierendes und sinnvolles Enhancement wohl erst in 50 Jahren umsetzbar sein wird.

Michael Hammes

Bericht von Muriel Leuenberger

Michael Hammes auf dem Podium

Michael Hammes ist bei der Firma Streifeneder zuständig für die Betreuung von Patient.innen mit Fußhebeschwäche und passt sogenannte Fußhebersysteme an deren Bedürfnisse an. Während nebenher Bier serviert und Flammkuchen gegessen wurde, konnten die Gäste in seiner Diskussion das von ihm vorgestellte System genauer unter die Lupe nehmen, das er als Anschauungsmaterial dabei hatte. Dieses helfe beispielsweise Schlaganfallpatient.innen, welche beim Gehen ihren Fuß nicht oder nur unter Schwierigkeiten nach vorne bewegen können. Durch eine Manschette am Unterschenkel oder durch ein Implantat wird ein Signal an die Nerven des vorderen Schienbeinmuskels geleitet, wodurch dieser gestreckt wird. Im Gespräch interessierten einerseits technische Aspekte, wie die Laufzeit, die individuelle Herr Hammes führt das Fußhebersystem vorProgrammierbarkeit, die Art des ausgesendeten Impulses oder wie und wo genau das Implantat eingesetzt wird. Andererseits wurde über Muskelkater diskutiert, ob die Patient.innen ein Fremdkörpergefühl verspüren, wie sich der Impuls für sie anfühlt oder inwiefern Langzeiteffekte zu beobachten sind. Insgesamt war es ein interessanter Einblick, wie Maschinen im Menschen zu gesteigerter Lebensqualität führen können, demonstriert anhand einer gut nachvollziehbaren und etablierten Technologie.

Dr. Jan-Christoph Heilinger

Bericht von Martina Gschwendtner

Dr. Jan-Christoph Heilinger hat als Ethiker eine besondere Rolle: Der Referent betont die neuen Chancen durch den technischen Fortschritt, macht aber gleichsam auf das Schaudern aufmerksam, das viele Menschen beim Gedanken an Cyborgs überkomme. Dabei sei es wichtig, die Thematik zu systematisieren und zu reflektieren.

Unter anderem spielen dabei folgende Aspekte eine Rolle:

  • Die Risiken für das Individuum und für die Gesellschaft
  • Die Frage der Gerechtigkeit bei der Verteilung der Ressourcen
  • Mündigkeit und Freiwilligkeit: informiertes Einverständnis erforderlich

Eine sehr wichtige Aufgabe der Politik und der Gesellschaft sei die Beantwortung der folgenden Frage: Wie soll der Mensch sein? Jeder ist Entscheidungsträger – über seinen eigenen Körper sollte jede/r selber entscheiden dürfen und nicht der Staat. Der Begriff des Cyborg klinge nach Science Fiction, aber auch das könne Anschlussmöglichkeiten zum Nachdenken über Zukunftsvisionen bieten.

Dr. Jan-Christoph Heilinger in der DiskussionBei der anschließenden Diskussion wurde neben den praktischen Aspekten auch die kontinuierliche Evolution des Menschen angesprochen. Dieser Entwicklung könne und sollte man keine Grenze setzen. Enhancement-Produkte können ein längeres, besseres oder anderes Leben ermöglichen. Die Leistungsspirale, in die Menschen dadurch geraten können, müsse kritisch betrachtet werden. In der Ethik gehe es vor allem darum, begründete Einschätzungen zu geben: beim Einsatz von Maschinen im Menschen sei der Verwendungszweck und die Art des Einsatzes zu hinterfragen. Im Raum stand ebenso die Frage nach der Verantwortung. Diese müsse vor allem rechtlich geklärt werden. Je weiter die Entwicklungen voranschreiten, müsse man sich auch fragen, inwieweit Menschen in der Gesellschaft überhaupt noch akzeptiert werden, die von der körperlichen Normalität abweichen. Die Gesellschaft müsse sich damit auseinander setzen, wie weit man den Menschen verändern darf, ohne sein Menschsein in Frage zu stellen.

Schlussendlich könne man den technischen Fortschritt nicht aufhalten oder verbieten, denn er sei durchaus positiv. Dennoch oder gerade deshalb sei es wichtig, gemeinsam über die Folgen, Verantwortung und Grenzen zu reflektieren. Hierfür biete das Science Café einen optimalen Rahmen.

Links & Literatur

Kommentare 3

  1. #1

    wieder ein Spitzenthema
    ich bin stolz auf Euch und versuche zu kommen

    Nikolaus Schatt,
  2. #2

    Die heutigen Möglichkeiten, fehlende Gliedmaßen, Organe oder Sinne zu ersetzen, sind großartig. Sobald aber "normale" Fähigkeiten überschritten werden, wird es ethisch sehr schnell bedenklich. Und bitte: Mein Vater ist ein ganz normaler Mensch mit einer hilfreichen kleinen Maschine in seinem Körper, kein "Cyborg" aus Horrorvisionen der fortschrittsgläubigen 1960er Jahre.

    Christian S.,
  3. #3

    Lieber Christian S.,
    Menschen bleiben immer Menschen, auch wenn ihre Organe durch technische Instrumente unterstützt werden. Der Titel ist sicher sehr provokant gewählt, auch im Bezug auf die Horrorvisionen. Wie soll man dieses Phänomen benennen? Die Technik, die wir uns schaffen, bestimmt unsere Umwelt und wandert jetzt auch in unseren eigenen Körper. Ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie das funktioniert und wo die Grenzen liegen, wie weit dürfen wir gehen? Wo wird es bedenklich? Und was macht einen Menschen eigentlich aus? Das und alles was unsere Gäste einbringen werden wir morgen diskutieren! Dabei sind ALLE Meinungen erwünscht!